Übertragbarkeit von Tierversuchen: Neue Studie bestätigt wissenschaftlichen Konsens

Tierversuche und ihre Übertragbarkeit auf Menschen – ein viel diskutiertes und umstrittenes Thema. Das Zentrum für reproduzierbare Wissenschaft der Universität Zürich zeigt nun in einer systematischen Übersichtsstudie, wie häufig sich Ergebnisse aus der Forschung mit Tieren auf den Menschen übertragen lassen. So schafften es 50 Prozent der Therapie-Kandidat*innen zu einer ersten Studie am Menschen, 40 Prozent erreichten eine randomisierte, kontrollierte Studie, bei der Studienteilnehmende die Therapie oder ein Placebo erhalten und weder Mediziner*innen noch Patient*innen die Auswahl kennen. Eine solche Studie leistet zugleich die härteste Überprüfung der Wirksamkeit und Schädlichkeit eines Therapie-Kandiaten. Die Mehrheit der so getesteten Kandidaten erhielt keine Zulassung als Therapie, fünf Prozent kommen schließlich als Medikament auf den Markt.

Benjamin Ineichen

Die jetzt ermittelten Werte korrespondieren mit bisherigen Befunden; sie kommen trotz unterschiedlicher Vorgehensweise zu übereinstimmenden Zulassungs-Quoten.

Für die Untersuchung hatten die Forschenden 122 systematische Übersichtsstudien – sogenannte Reviews – zu 367 verschiedenen Therapien für 54 menschlichen Krankheiten überprüft.

Die Autorinnen und Autoren der Studie kamen ebenso zu dem Ergebnis, dass es eine große Übereinstimmung zwischen Tier– und Humanstudien gab: 86 Prozent der Therapien, die erfolgreich an Tieren getestet wurden, waren auch beim Menschen wirksam.

Tierversuche fokussieren primär auf die biologischen Mechanismen, klinische Studien hingegen auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen einer Therapie

Benjamin Ineichen, Studienleiter

Unterschiedliche Fragestellungen in Tier- und Menschenstudien

Der Verantwortliche der Studie, Benjamin Ineichen, nennt in einem Beitrag der Universität Zürich Gründe dafür, dass bei späteren Tests an Menschen Wirkstoffe als ungeeignet auffallen. Er führt dies auf unterschiedliche Fragestellungen in Tier- und Menschenstudien zurück. Ineichen: „Tierversuche fokussieren primär auf die biologischen Mechanismen, klinische Studien hingegen auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen einer Therapie.“ Zudem würden die Stoffe an gesunden Tieren getestet, was eine Übertragung auf ältere und kranke Patienten erschwere. Somit entscheidet offensichtlich die Art der Fragestellung bei Studien über die Übertragbarkeit, nicht die Methodik „Tierversuch“ an sich.

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Als weitere Beispiele zählen die Autor*innen auf, dass etwa in der Schlaganfallforschung Wirkstoff-Kandidaten häufig an jungen Tieren getestet werden. Das entspricht nicht unbedingt der typischen Patientenauswahl im klinischen Alltag. Bei Herzinfarkt-Studien bekämen Versuchstiere die zu untersuchenden Wirkstoffe viel eher verabreicht (9,5 Minuten nach dem Herzstillstand) als die menschlichen Studienteilnehmer (19,4 Minuten).

Luís Montoliu, Forscher am spanischen nationalen Zentrum für Biotechnologie, teilt die Deutung des Schweizer Forscherteams, dass Studiendesigns bisher keine optimale Übertragbarkeit gewährleisten. „Die Standardisierung von Umgebungen und Tieren, meist Inzuchttiere, wenn es sich um Mäuse handelt, kann eine Quelle von Problemen sein. Denn es ist offensichtlich, dass Menschen in unterschiedlichen Umgebungen leben. All dies kann zu Ergebnissen bei Tieren führen, die therapeutische Erwartungen wecken, die sich später beim Menschen nicht bestätigen.“

Forderung nach robustem Studiendesign

Das Schweizer Forscherteam kommt zu dem Ergebnis, „dass die Rate der erfolgreichen Übertragung von Tierversuchen auf den Menschen höher sein könnte als bisher berichtet“. Die Rate der endgültigen Zulassung von Wirkstoff-Kandidaten deute „auf potenzielle Mängel in der Gestaltung sowohl bei Tierstudien als auch bei frühen klinischen Versuchen“ hin. Um die Übertragbarkeit von Therapien zu verbessern, plädieren die Autoren der Studie „für ein robusteres Studiendesign und die Stärkung der Verallgemeinerbarkeit“, so Ineichen.

Luís Montoliu schlägt in die gleiche Kerbe: „Tierversuche sind in der Biomedizin weiterhin notwendig, um die Entwicklung von Therapien zur Behandlung von Krankheiten voranzutreiben, die sowohl Tiere als auch uns Menschen betreffen. Wir sollten jedoch versuchen, die Versuchspläne sowohl auf präklinischer als auch auf klinischer Ebene zu verbessern, um den Prozentsatz der Tierversuche zu erhöhen, der sich beim Menschen bestätigt.“

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