Neuer EU-Report: Zahl der Versuchstiere wieder auf Vor-Corona-Niveau

Die Zahl der Tiere, die in der EU in Tierversuchen eingesetzt werden, ist nach starkem Rückgang im Pandemiejahr 2020 in den beiden Folgejahren wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Wenige Einzelprojekte mit einer großen Anzahl von Fischen, insbesondere in Norwegen, hatten dabei einen deutlichen Einfluss auf die Gesamtzahlen. Diese und weitere wichtige Ergebnisse zeigt unsere exklusive Auswertung der im Juli 2024 durch die Europäische Kommission veröffentlichten Tierversuchsstatistik. Die neuen Zahlen beziehen sich auf die EU und Norwegen für die Jahre 2021 und 2022.

In den 27 EU-Staaten wurden im Jahr 2022 insgesamt rund 7,9 Millionen Tiere in Tierversuchen verwendet. Im Jahr 2019 lag diese Zahl bei knapp 8,1 Millionen Tieren. Nach den beiden ungewöhnlichen Pandemiejahren 2020 (7,3 Millionen Tiere) und 2021 (8,2 Millionen Tiere), die unter anderem von Corona-bedingten Einschränkungen der Forschung geprägt waren, hat die Zahl der Versuchstiere nun also wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Mit Ausnahme der beiden Jahre 2020 und 2021 ist damit die Gesamtzahl der Versuchstiere in den 27 EU-Staaten seit 2015 leicht rückläufig.

Zahl der einsetzten Tiere in der EU sinkt

Auch wenn man das Vereinigte Königreich (Großbritannien und Nordirland, UK; nach dem Brexit seit 2020 nicht mehr in der Statistik enthalten) hinzurechnet, ist die Zahl der in Versuchen eingesetzten Tiere seit Beginn der Statistik mit Einführung der EU-Richtlinie 2010/63 zurückgegangen: Von rund 11,4 Millionen Versuchstieren im Jahr 2015 sank diese Zahl um rund 13 % auf 9,9 Millionen im Jahr 2022.

Mit der Einbeziehung von Norwegen ab dem Jahr 2018 wurde zusätzlich ein Land mit einer vergleichsweise hohen Zahl von Versuchstieren neu in der Statistik erfasst, was den langfristigen Vergleich erschwert. Die hohe Zahl resultiert aus den vielen Versuchen mit Fischen, die in Norwegen vor allem zur Optimierung von Aquakulturen durchgeführt werden.

Konstanter Trend: Anhaltend starker Rückgang bei regulatorischen Tests

Ein Trend, der trotz aller Corona-Sondereffekte seit 2015 ungebrochen anhält, ist der Rückgang bei Tierversuchen zur Prüfung von Medikamenten und Chemikalien (sog. regulatorische Tests; siehe dazu auch unsere ausführliche Analyse im „Kompass Tierversuche 2023“).

Wurden in EU, Norwegen und UK im Jahr 2015 noch insgesamt rund 2,4 Millionen Tiere für regulatorische Zwecke eingesetzt, waren es 2022 nur noch rund 1,4 Millionen – ein Minus von 42 %.

Im Bereich der Qualitätskontrolle von Medikamenten ging die Zahl der Versuchstiere seit 2015 sogar um mehr als 50 % auf rund 650.000 Tiere im Jahr 2022 zurück. Diesen Rückgang  führt die EU-Kommission in ihrem Bericht auf den Einsatz alternativer Testmethoden zurück. Solche Alternativen sorgen insbesondere bei der Überprüfung von Wirksamkeit  und Unbedenklichkeit neuer Produktionschargen etwa von Impfstoffen oder biologisch produzierten Arzneimitteln (z.B. „Botox“) für deutlich geringere Versuchstierzahlen.

Besonderheiten in 2020 und 2021: Corona und Fische

Die EU-Kommission macht Versuche mit Fischen für die ungewöhnlich hohe Zahl von Versuchstieren im Jahr 2021 verantwortlich. In ihrem Bericht heißt es, der Anstieg sei „vor allem auf drei Projekte zurückzuführen (davon zwei mit Lachsen in Norwegen und eines mit der Larvenform des Wolfsbarschs in Spanien), auf die über 1,3 Millionen Tiere entfallen.“

Insgesamt waren im Jahr 2021 mehr als 3,1 Millionen von den 10,2 Millionen Versuchstieren in EU und Norwegen Fische. Mehr als die Hälfte der Versuchsfische wurde also aus Norwegen gemeldet. Noch nie machten Fische einen so hohen Anteil (31 %) an den Versuchstieren aus.

Ein weiterer Grund für den starken Anstieg der Versuchstierzahl zwischen 2020 und 2021 lag laut EU-Kommission in der Tatsache, dass manche Forschungsprojekte durch pandemiebedingte Lockdowns im Jahr 2020 ausgesetzt oder verschoben und dann vermehrt im Jahr 2021 durchgeführt wurden.

Deutschland im internationalen Vergleich weiter im Mittelfeld

Deutschland liegt mit rund 21 Versuchstieren pro 1000 Einwohner*innen im Jahr 2022 nur knapp über dem EU-Durchschnitt und im internationalen Mittelfeld – bei rückläufiger Tendenz. Mit diesem Wert bleibt Deutschland deutlich hinter anderen forschungsstarken Ländern wie Frankreich (31), UK (29) oder auch den Niederlanden (25) zurück.

Tatsächlich verzeichnet die deutsche Statistik seit 2019 einen deutlichen Rückgang bei den Versuchstieren: Zwischen 2019 und 2022 sank die Zahl um 22% (nach EU-Zählweise). Mit deutlichem Abstand liegt weiterhin Norwegen auf Platz 1 der Versuchstiere pro 1000 Einwohner*innen (260; nicht abgebildet).

Besonders auffällig ist die Zunahme der Tierversuche in Malta. Waren es 2019 noch 0,5 Versuchstiere pro 1000 Einwohner, sind es im Jahr 2022 rund 48 Tiere. In Malta schwanken die jährlichen Versuchstierzahlen mit einzelnen Projekten sehr stark, bei vergleichsweise geringer Bevölkerungszahl (rund 531.000 Einwohner).

Komplexe Berechnung der Zahlen

Diese Trends in der EU-Statistik lassen sich jedoch nur mithilfe von zusätzlichen Informationen erkennen, da der „Brexit“ seit 2020 und die Einbeziehung von Norwegen seit 2018 die Interpretation verkomplizieren. So lassen sich aus der nationalen UK-Statistik mit den von der EU-Kommission berichteten Zahlen vergleichbare Zahlen berechnen. Außerdem setzt sich die hier berichtete Gesamtzahl der Versuchstiere in der EU-Statistik aus verschiedenen Zahlen zusammen: Zu den in der Forschung verwendeten Tieren müssen Tiere für die Erzeugung und den Erhalt von gentechnisch veränderten Organismen hinzugerechnet werden. In der EU-Statistik werden diese Tiere separat angegeben, sind in diesem Text aber bereits eingerechnet.

Wie die EU-Statistiken zu lesen sind, haben wir in einem Beitrag zu den EU-Zahlen aus dem Jahr 2019 in einer Infobox dargestellt. Die EU bietet eine eigene Datenbank für ihre Tierversuchsstatistik: die ALURES-Datenbank. Es ist jedoch Hintergrundwissen erforderlich, um die darin enthaltenen Daten sinnvoll zu interpretieren.


Hinweis: Berichte der EU vs. deutsche Statistik
Die in Deutschland jährlich gemeldeten Versuchstierzahlen unterscheiden sich von denen aus dem EU-Bericht. Das liegt vor allem daran, dass in der deutschen Statistik Tiere mitgezählt werden, die zwar nicht in Tierversuchen eingesetzt, jedoch zu wissenschaftlichen Zwecken getötet wurden. Unter den Paragraphen 4 des Tierschutzgesetzes fallen Tiere, die ohne vorherigen Eingriff getötet werden, um anschließend Organe für die Forschung zu entnehmen. In Deutschland gab es 2022 insgesamt 711.939 solcher „§ 4-Tiere“. Durch die Inklusion dieser Tiere liegen die in Deutschland gemeldeten Versuchstierzahlen für 2022 bei rund 2,4 Millionen – im EU-Bericht sind hingegen nur 1.725.855 Tiere ausgewiesen, die in Tierversuchen eingesetzt wurden.
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